„Es braucht die große Transformation“

Ein Mann gibt Denkanstöße zum Thema Nachhaltigkeit, und mehr als 100 Menschen aus der DHBW Mosbach und ihrem Umfeld hören zu und diskutieren mit: So geschehen am Nachmittag des 26. September 2022 im Mosbacher Audimax.

Der Vortragende: Andreas Huber, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome, einer „Denkfabrik für Zukunftsfragen“. Er ist seit mehr als zehn Jahren als professioneller Redner auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit unterwegs und weiß, wovon er spricht. Ein aufschlussreicher und bewegender Nachmittag also, den die DHBW zum Auftakt der Europäischen Nachhaltigkeitswoche (ESDW) an der Hochschule für die vielen Interessierten vor Ort und im Online-Livestream organisiert hatte.

Ausgangspunkt: die angenehme Welt, in der wir leben, gerade hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten. Aber das, was das Leben angenehm macht, geht auf Kosten der Erde. Und die wehrt sich, mit Dürren, Starkregen, Artensterben und mehr. Energie gibt’s auch hierzulande plötzlich nicht mehr für jeden und schon gar nicht mehr billig. Dass das Wachstum an Grenzen stößt, hat der Club of Rome –eine informelle Vereinigung von engagierten Fachleuten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus 53 Ländern – schon 1972 in einer bis heute viel beachteten Studie propagiert: „Die Grenzen des Wachstums“.

50 Jahre später steht Andreas Huber als ein Vertreter dieser wichtigen „Denkfabrik“ auf dem Mosbacher Audimax-Podium, um zu erklären, wie „aus Nachhaltigkeit ein ‚Abenteuer des Geistes‘“ werden kann. „Beyond Sustainability“ – Jenseits der Nachhaltigkeit – ist sein Vortrag überschrieben, und Huber legt auch gleich richtig los, indem er sich erstmal eine Zigarette anzündet. Der gewünschte Lerneffekt: „Dinge, die noch vor wenigen Jahren ganz alltäglich waren, gelten innerhalb kürzester Zeit als absurd.“ Wie etwa das Rauchen in diesem Moment an diesem Ort. Huber macht sich Sorgen, was seine beiden zweijährigen Zwillingstöchter in 50 oder 100 Jahren wohl erleben werden. Was ihn mit Blick auf die Zukunft umtreibt: „Wir kennen die Probleme und haben die Lösungen. Aber es passiert zu wenig.“

Ein Grundproblem: Der Menschheit sei die Demut abhandengekommen. „Die Erde ist der einzige uns bekannte Planet, der Leben ermöglicht.“ Unglaublich alt seien Universum und Erde. „und es wird wahrscheinlich auch in 1 Million Jahren noch Pflanzen auf unserem Planeten geben.“ Aber was ist mit unserer Zivilisation? „Wir setzen unsere zivilisatorische Qualität aufs Spiel.“ Wäre die Erde ein Beziehungspartner – würde man sie derzeit mit Respekt, Wertschätzung, Empathie behandeln? „Eher nicht. Wir empören uns nicht, wenn in dieser Beziehung etwas kaputt geht. Und das ist für mich das Kernproblem der Nachhaltigkeit.“

Huber redet über Anthroposphäre – all das Menschengemachte, das aus dem menschlichen Gestaltungstrieb kommt – und setzt es ins Verhältnis zur Biogeosphäre – „all das, was der Planet zur Verfügung hat, um Leben zu ermöglichen.“ Hier gibt es schon ein Missverhältnis allein durch den Blickwinkel, wie ein Bild von einem Tier auf einer Straße verdeutlicht: „Der Mensch sieht eine Straße, auf der er schnell von A nach B kommt und nicht, dass er in den Lebensraum des Tieres eingedrungen ist.“ Er erinnert an die Entstehungsgeschichte des Club of Rome, dessen Mitgründer Aurelio Peccei – ein italienischer Industrieller – in den 1960er Jahren das Gefühl gehabt habe: „Irgendwas stimmt hier nicht, wir befinden uns auf einem falschen Weg, ich mache mir Sorgen.“ Aus der folgenden Diskussion mit Experten entstand die bis heute aktuelle Studie „Die Grenzen des Wachstums“.

Rund 40 Minuten lang gibt Andreas Huber solche Denkanstoßstöße in Sachen Nachhaltigkeit. Jeder Satz ein Treffer, könnte man den Vortrag salopp zusammenfassen – der erfahrene Referent weiß, wie man ein Publikum fesselt und den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Sachen nachhaltigem Agieren auf den Punkt bringt. Ein weiterer Gedanke: „Aurelio Peccei war schon damals überzeugt, dass es zur Bewältigung der Aufgaben vor allen Dingen ein ‚Abenteuer des Geistes‘ braucht, ein Vorankommen im Denken, im Wertesystem, im Leitsystem“. Der Mensch entwickele in kurzer Zeit mächtige Werkzeuge, aber das menschliche Denken entwickele sich nicht in der gleichen Geschwindigkeit mit. Die Folge sei letztlich eine völlige Überforderung der planetaren Grenzen.

Bislang habe der Mensch mit seiner zivilisatorischen Entwicklung Glück gehabt – „aber wir sind dabei, dieses Glück zu verspielen.“ Womit primär? Durch die Emission von Kohlendioxid in die Atmosphäre. Angemessen zu reagieren habe natürlich einen Preis, denn es fühle sich unangenehm an, wenn man etwas im persönlichen Verhalten oder in der Wirtschaft verändere: „Im falschen System das Richtige zu tun, ist verdammt schwer.“ Huber plädierte daher für einen Systemwechsel, für neue Leitsätze und Narrative. Es gelte, einen Berg zu überwinden: „Es braucht die große Transformation. Das wird Arbeitsplätze und Geld kosten und unangenehm sein.“ Viele Dinge, die heute noch selbstverständlich sind, würden in 30 oder 40 Jahren hoffentlich für Empörung und Unverständnis sorgen – so wie seine angezündete Zigarette zu Beginn des Vortrags.

Intensiv wurde es auch danach bei der von Professorin Anja Kern (Studiengangsleiterin BWL-Handel) moderierten Podiumsdiskussion. Mit DHBW-Präsidentin Martina Klärle und dem Stuttgarter Professor Erich Zahn – 1972 einer der Mitautoren von „Grenzen des Wachstums“ – brachten sich eine Umweltwissenschaftlerin und ein Ökonom meinungsstark in die Thematik ein. Zahn nannte das Problem der hohen Bevölkerungsentwicklung: „Wir werden demnächst 8 Milliarden Menschen sein – als wir 1972 unser Modell entwickelten, waren es 3,2 Milliarden. 2086 werden es 10,4 Milliarden sein. Die Frage ist: Können wir uns das leisten?“ Er skizzierte weit verbreitete „unreflektierte“ Hoffnungen“, es würde schon nicht so schlimm werden: „Das verleitet uns, zu spät zu kommen.“

Martina Klärle schilderte ihre Erkenntnisse aus einem Grönland-Besuch mit dem Meteorologen und Klimaforscher Mojib Latif: „Das war für mich ein Schlüsselerlebnis und ich merkte: Wir können nicht mehr warten, wir müssen jetzt jeder für sich etwas tun!“ Egal wo man ist, egal wann man ist, egal mit wem man ist – man müsse handeln. Dies sei auch ihr Ziel als DHBW-Präsidentin: „Dafür sorgen, dass wir immer wieder ein kleines Schrittchen vorankommen.“ Auch dass die DHBW im Mosbacher Audimax mit dieser Veranstaltung – und vielen weiteren im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche – Schritte vorankommt, sind kleine, aber wichtige Handlungen auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft.

Ab Oktober 2023 startet der Bachelor-Studiengang "Sustainable Management" an der DHBW Mosbach. Informationen dazu gibt es unter: www.mosbach.dhbw.de/sm