„An der DHBW fängt der forschende Mensch nicht erst mit der Promotion an“

Rektorin Gabi Jeck-Schlottmann und Ressortleiter Forschung Prorektor Max Mühlhäuser im Interview

Der DHBW-weite Forschungstag in Mosbach war eine der letzten Veranstaltungen der Hochschule in der „alten Normalität“ vor Corona. Man stand, aß, trank und diskutierte zusammen. Der begleitende Tagungsband dagegen entstand bereits in der neuen Arbeitsrealität, in der Videokonferenzen und elektronische Tools stärker vernetzen als Gespräche im Büro oder auf dem Flur. Die Mosbacher Rektorin Prof. Dr. Gabi Jeck-Schlottmann und Prorektor Prof. Dr. Max Mühlhäuser, Leiter des Ressorts Forschung, sprechen im Interview daher nicht nur über das Tagungsthema „Vernetzung von Forschung und Lehre“, sondern auch darüber, wo die Forschung an der DHBW herkommt, wo die Hochschule steht sowie darüber, wie sich Forschung verändert und neue Schwerpunkte und Methoden findet in der „neuen Normalität“.

 

Liebe Frau Jeck-Schlottmann, lieber Herr Mühlhäuser, wenn Sie sich zurückerinnern an den Forschungstag Ende Januar, was kommt Ihnen da als erstes in den Sinn?

Gabi Jeck-Schlottmann: Ich erinnere mich besonders an die Lebendigkeit und Vernetzung, die wir erreicht haben: Die Vernetzung zwischen den Standorten, zwischen anderen Hochschulen und der DHBW sowie zu den Dualen Partnern, was ja die Besonderheit der Forschung an der DHBW ausmacht.

Max Mühlhäuser: Ein besonders herausragendes Beispiel dafür war die exzellente Keynote, ein Tandemvortrag zwischen dem Unternehmen MPDV und dem Living Lab an der DHBW Mosbach. Der Vortrag zeigte deutlich die gelebte Partnerschaft zwischen den Dualen Partnern und unseren Forschenden.

JS: Der Forschungstag brachte außerdem die verschiedensten Themen zusammen, von denen wir manchmal überhaupt nicht wussten, dass sich gerade ein Kollege oder eine Kollegin eines anderen Standorts damit beschäftigt. Der Tag dient somit nicht nur der Vernetzung und dem Austausch, sondern stärkt auch die Organisationsstruktur selbst.

MM: Die DHBW ist bunt und vielschichtig. Das ist sie zu meiner großen Freude inzwischen auch in der Forschung, weil wir eine enorme Bandbreite abdecken. Nicht zu vergessen ist, dass so ein Forschungstag eine enorme organisatorische Aufgabe ist. Eine ganze Menge Leute im Hintergrund haben ihm zu seinem Erfolg verholfen, sowohl im Präsidium als auch bei uns am Standort. An dieser Stelle möchte ich allen meinen herzlichen Dank aussprechen.

 

Wo sehen Sie Forschung und Lehre besonders eng vernetzt?

MM: Das sind die Themen Bildungsforschung, Mathematikdidaktik und die Frage, welche IT-Kenntnisse der Studierenden die digitale Transformation erfordert. Hier steht das System des dualen Studiums selbst im Fokus der Forschung. Nicht umsonst pflegen wir eine enge strategische Partnerschaft mit der PH Heidelberg, weil das auch dort eine relevante wissenschaftliche Frage ist. Die Vorkurse und die didaktische Aufbereitung von Vorkursen sind nahe an der Bildungsforschung, haben aber andererseits auch viel mit praktischer, konkreter Lehre zu tun. Das Living Lab ist darüber hinaus das Vorzeigeprojekt, weil es sowohl ein Lehr- als auch ein Forschungslabor ist, eine forschende Umgebung, in der die Studierenden ihre Studien- und Bachelorarbeiten entwickeln.

JS: Auch in der Fakultät Wirtschaft gibt es solche Beispiele, wenn beispielsweise alte geldtheoretische Texte rekonstruiert und mit aktuellen Theorien verglichen werden. Hier gibt es überraschende Parallelen, aufgrund der modernen Geldtheorie sowie der einfachen und plastischen Sprache lässt sich historische Erforschung beispielsweise des Bankiers und Schriftstellers Lansburgh mit Lehre zu aktuellen Fragen verbinden.

Das Swarm Lab, das Schwarmintelligenz und KI verknüpft mit der Logistik, ist ein weiteres Beispiel für die enge Verknüpfung von Lehre und Forschung. Erkenntnisse, die in den Modulen und Vorlesungen in der Angewandten Informatik entstehen, werden auch auf Konferenzen vorgestellt. Sie werden im Sinne des Wissenstransfers an die nächste Generation an Studierenden in der Lehre weitergeben.

Wie profitieren die Studierenden davon? Was bedeutet das für die „Third Mission“?

JS: Wir forschen nicht zum Selbstzweck, sondern Ziel ist immer der Transfer, die Anwendung entweder in der Wirtschaft oder in der Lehre. Dabei setzen wir auf den Multiplikator-Effekt. Die jungen Leute tragen das Wissen in ihre Unternehmen hinein. Damit erreichen wir schnell eine viel größere Verbreitung in der Wirtschaftspraxis, als wenn man das Ergebnis „nur“ in einem eng begrenzten Fachpublikum vorstellt. Über die Multiplikation über die Studierenden haben wir eine unglaublich breite Transferwirkung.

MM: Dass die Studierenden in die Forschungsprozesse mit einbezogen werden, ist bei uns zentral. Wir sind kein Mini-Max-Planck-Institut, das Forschung im Kreis von – selbstverständlich – höchst exzellenten Forschenden betreibt. Unser Kerngeschäft ist das Bachelorstudium. Doch wenn ich vergleiche, wie renommierte Universitäten wie das KIT oder die TU München ihre Bachelorstudierenden in Forschungsprojekte einbinden, dann schneiden wir deutlich besser ab. An der DHBW fängt der forschende Mensch nicht erst mit der Promotion an, wir verknüpfen bewusst Forschung und Lehre bereits im Bachelorstudium. 

 

Mosbach feiert 40 Jahre duales Studium. Der offizielle Forschungsauftrag ist natürlich jünger. Welche Forschung gab es in der Zeit vor der Hochschulwerdung.

JS: Forschung gab es schon immer, auch schon zu Zeiten der Berufsakademie. Wir haben es damals vielleicht nicht explizit so bezeichnet, aber die Kollegen und Kolleginnen haben sich schon immer wissenschaftlich engagiert, Forschungsfragen erarbeitet und wissenschaftliche Beiträge geschrieben. Das liegt einfach in der Persönlichkeit, Professorinnen und Professoren sind wissensdurstig, möchten Dinge erforschen. Angewandte Forschung und Entwicklung schlug sich schon damals beispielsweise in der Entwicklung von Patenten speziell im Studienbereich Technik nieder. Auch gab es schon den Rückfluss in die Lehre. Seit 2009 haben wir glücklicherweise den Forschungsauftrag als DHBW. Damit verbunden sind andere Strukturen, Anreize, die zu Berufsakademie-Zeiten nicht möglich waren.

MM: Ja, Forschung heißt Neues herauszufinden auf allen Ebenen, von theoretisch bis ganz praktisch Wir bilden Ingenieurinnen und Ingenieure aus. Es ist die Aufgabe eines Ingenieurs, ständig Neues zu entwickeln. Wir haben auch zu BA-Zeiten schon ein Ingenieurstudium angeboten, kritische Köpfe geformt, die Neues tun, Dinge hinterfragen, bessere Prozesse liefern. Wenn ich Studierende zu einer kreativen Aufgabe bringen will, wenn ich will, dass sie selber neue technische Lösungen entwickeln, dann muss ich sie befähigen, zu forschen.

Was waren die Höhepunkte aus 10 Jahren DHBW-Forschung?

MM: Seit fünf Jahren haben wir Promovierende bei uns, die einen neuen Geist mitbrachten. Da war plötzlich von Doktoranden-Kolloquien, Promotionsverfahren und Publikationen die Rede. Es wurde auf einmal stärker nach den Spielregeln der Scientific Community gespielt. Die Methodenkompetenz in der Forschung ist dadurch „hochschulischer“ geworden. Die ersten Promotionen sind mittlerweile erfolgreich abgeschlossen.

JS: Ja, akademische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Lehrbetrieb und als Kolleginnen und Kollegen sind Ansprechpartner für einen wissenschaftlichen Diskurs und setzen neue Impulse auch jenseits ihrer konkreten Forschungsergebnisse. Einen Kick gab uns auch das Innovationsprogramm Forschung (IPF) für akademische Mitarbeiter*innen an der DHBW Mosbach. Die dahinter stehenden Regeln und Anforderungen, wie eine Promotion aussehen sollte, und die Kriterien zur Arbeitsweise der Promovierenden haben geholfen, transparente Strukturen und Prozesse aufzubauen. Dasselbe gilt für die anderen Drittmittelprojekte in Kooperation mit beispielsweise dem DAAD oder dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Bundeswirtschaftsministeriums.

MM: Das IPF hat enormen Rückenwind gebracht. Es gab der ganzen Organisation und eben nicht nur den Forschenden selbst ein Verständnis davon, dass Forschung einen Wert hat. Seitdem wird Forschung stärker akzeptiert. Was ich mir für zukünftige Programme wünsche, ist eine Konzentration auf thematische Cluster. Dadurch werden Forschungsfelder nachhaltig, wenn sie nicht erschöpft sind, sobald die eine Promotion zu Ende ist. Auch sollten sich Forschende unterschiedlicher Standorte bei gemeinsamen Themen zusammentun und dann besonders gefördert werden. Am Forschungstag hat man ja gesehen, dass es an jedem Standort Ideen dazu gibt.

JS: Nichtsdestotrotz möchte ich betonen, dass wir nicht reglementieren, wenn ein Kollege oder eine Kollegin außerhalb dieser Cluster forscht.

 

Hat sich Forschung durch Corona verändert? Neue Themen, neue Methoden, neue Ziele?

JS: Wir untersuchen seit langem, wie sich digitale Lehrstrategien, Medien oder Formate auf das Studium auswirken. Die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Untersuchung ist jetzt aber eine ganz andere geworden, weil wir im Sommersemester nicht mehr nur einzelne Module digital angeboten haben, sondern die komplette Lehre auf Lehren und Lernen in Distanz umgestellt war. Hier erwarte ich nun viele Projekte, um zu erforschen, wie digitale Lehre methodisch-didaktisch wirkt.

MM: Nicht zu vergessen die operative Ebene. Wir haben einen riesigen Schub bei allen digitalen Instrumenten erhalten. Treffen können jetzt wesentlich spontaner in Webkonferenzen abgehalten werden. Ich bin davon überzeugt, dass das die standortübergreifende sowie internationale Kooperation massiv befördern wird. Alle sind mit diesen Tools inzwischen vertraut.

Konkrete Forschungsergebnisse sehen wir natürlich noch nicht, weil die Kolleginnen und Kollegen primär damit beschäftigt sind, den Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten. Die Studierenden und externen Lehrbeauftragten in eine ganz neue Lernwelt einzuführen, das erfordert einfach unheimlich viel Zeit, die dann logischerweise nicht für Forschung zur Verfügung steht. Die Ergebnisse erwarte ich erst in ein bis zwei Jahren, dann allerdings geballt, weil durch die digitalen Instrumente die Geschwindigkeit der Treffen und Abstimmungen enorm zunimmt.

 

Welche Ziele hat sich die DHBW Mosbach im Bereich Forschung gesetzt?

MM: Ich wünsche mir mehr Sichtbarkeit. Das gilt ganz besonders für einen Standort wie die DHBW Mosbach im ländlichen Raum. Wir greifen viele Ideen unserer Dualen Partner auf und entwickeln eine Strahlkraft in die Region. Wünschenswert wäre, dass sich darüber hinaus überregionale Leuchttürme herauskristallisieren, sodass ein Außenstehender sagt: Wenn ich zu einem bestimmten Thema eine Lösung brauche, dann kann ich nur nach Mosbach gehen. In der praxisnahen Lehre ist die DHBW schon lange an diesem Punkt angekommen. Wir haben duale Studienangebote, die in ganz Deutschland einzigartig sind, zum Beispiel Bauingenieurwesen, Holztechnik und Holzwirtschaft. Da ist völlig klar, wenn ich das beste duale Studium in Deutschland haben will, dann muss ich nach Mosbach gehen. An so einem Punkt wäre ich gerne in zehn Jahren auch in der Forschung. Das ist ein harter, weiter Weg. Wenn ich aber sehe, wie viel Lust die Kolleginnen und Kollegen darauf haben, bin ich ziemlich zuversichtlich, dass uns das gelingen wird.

Wie wichtig ist Forschung für die DHBW? Für das Selbstverständnis der Professoren? Welchen Beitrag leistet die DHBW in der Forschungslandschaft?

MM: Als Hochschule generieren wir Wissen. Als duale Hochschule sind wir stärker an den aktuellen Entwicklungen in den Partnerunternehmen dran als andere Hochschultypen, erkennen Trends sehr schnell. Die Vernetzung von Theorie und Praxis in der Lehre sollte auch in der Forschung stark eingebracht werden, jedenfalls stärker als es andere Hochschultypen häufig leisten.

Wie gelingt der Wissenstransfer von der Hochschule in die Region?

JS: Mit unseren Praxisforen bieten wir den Dualen Partnern und häufig einer ganzen Branche Plattformen zum Wissenstransfer, zum Austausch und zur Vernetzung. Mit Vortragsabenden erreichen wir die interessierte Öffentlichkeit, gerade in der Corona-Zeit und im virtuellen Format auch zunehmend überregional. Das Thema nachhaltige und Elektromobilität ist in unserem Studium Generale besonders präsent, ein Zukunftsthema, das auch in der Politik und im Hochschulfinanzierungsvertrag verankert ist.

Einen großen Wert sehe ich auch in unseren Bachelorarbeiten. Die Dualen Partner stellen die Themen, sie haben für sie hohen Wert. Oftmals sind es empirische Bachelorarbeiten, die zumindest im Kleinen auf wissenschaftlichem Niveau neue Kenntnisse gewinnen und Themen weiterentwickeln, theoriefundiert und lösungsorientiert gleichzeitig.

Schaffen Sie beide es noch, selbst zu forschen (falls ja, was war ihr letztes Forschungsprojekt)?

JS: Nein, nur ganz wenig. Ich mache hin und wieder empirische Untersuchungen, auch vernetzt mit der Lehre. Viel mehr Zeit bleibt leider nicht. Ich habe zuletzt vor drei Jahren mit Kollegen einen Beitrag für einen Sammelband geschrieben. Währenddessen vergaß ich zu essen und zu trinken, ich saß an meinem Schreibtisch und hatte einen richtigen Flow. Es war einfach toll.

MM: Für Forschung habe ich mein Leben lang gebrannt. Ich würde wahnsinnig gerne selber wieder forschen, aber zeitlich funktioniert das nur in sehr begrenztem Maße, zumal ich als Quantenchemiker Grundlagenforschung betrieben habe. An der DHBW Mosbach habe ich bis vor zwei Jahren ein EU-Bildungsprojekt begleitet und auch selber dazu beigetragen.