Annyeonghaseyo! [안녕하세요]

Mein Name ist Isabell Balogh und ich bin 21 Jahre alt. Aktuell studiere ich Wirtschaftsinformatik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) am Campus in Mosbach. Da es sich um ein duales Studium handelt arbeite ich zusätzlich bei der TecAlliance GmbH in Weikersheim. Trotz der Corona-Situation hatte ich die Möglichkeit von März bis Juni 2021 ein Semester in Südkorea an der Chung-Ang University im Herzen Seouls zu verbringen.  In diesem Erfahrungsbericht möchte ich gerne über meine Motivation, Erlebnisse und meine persönliche Weiterentwicklung während meines Auslandsaufenthaltes berichten.

Schon zu Beginn meines dualen Studiums war mir klar, dass ich die Möglichkeit eines Auslandssemesters wahrnehmen möchte. Ich war schon immer sehr weltoffen und konnte mich bereits in Urlauben für andere Länder, Sprachen sowie die vielfältige Kulinarik dieser Welt begeistern. Jedoch habe ich noch nie eine längere Zeit im Ausland verbracht und wollte erfahren, wie sich das Leben im Ausland zu dem im Heimatland unterscheidet. Natürlich wollte ich auch mein Sprachniveau in Englisch verbessern und eventuell auch eine weitere Sprache lernen. Für Südkorea habe ich mich entschieden, da ich gerne außerhalb Europas studieren wollte und die Studienfächer an dieser Partneruniversität am Besten mit meinen Fächern an der DHBW übereingestimmt haben. 

Für mich ging es dann am 13.02.2021 für die nächsten vier Monate los nach Südkorea. Nach großem Abschiedsschmerz, dem ein oder anderen PCR-Test und über 10h Flug bin ich zusammen mit einem anderen Austauschstudenten in Seoul-Incheon gelandet und eine völlig neue Lebensphase sollte hiermit beginnen. Leider musste ich zunächst eine sehr unschöne Erfahrung machen und das war die 14-tägige Quarantäne nach Einreise aufgrund von COVID-19. Diese Zeit war wirklich sehr herausfordernd, da ich außer meinem Wohnheim-Zimmer, lauwarmem Essen und Wasser nichts hatte und mich Tag für Tag irgendwie beschäftigen musste. Außerdem war der Jetlag demnach auch nicht einfach, da ich mich in Isolation kaum an den neuen Rhythmus gewöhnen konnte. Dennoch ziehe ich auch aus dieser Zeit positive Erkenntnisse, da ich über mich selbst hinausgewachsen bin und mich heute als belastbarer beschreiben würde. Da ich keine Auswahl der Gerichte hatte, konnte ich schon von Anfang die koreanische Küche kennenlernen, und wer weiß ob ich mir das sonst jemals im Restaurant bestellt hätte. Nach der Quarantäne war die Vorfreude, endlich die Metropole Seoul kennenzulernen, riesig. In den ersten Tagen war ich so überwältigt von all den hohen Gebäuden, den vielen Menschen, Autos und Lichtern auf der Straße, dass ich Abends kaum zur Ruhe gekommen bin. Ich habe Seoul vor allem am Abend sehr aufgeweckt, bunt und laut erlebt. Ich muss zugeben, dass ich mich zu Beginn nicht komplett auf die andere Kultur einlassen konnte. Ich habe lange gebraucht um wirklich anzukommen und Südkorea voll genießen zu können. Beispielsweise war ich am Anfang vielmehr auf der Suche nach westlichem Essen, beziehungsweise nach allem was einem von zu Hause vertraut war.  Nach einiger Zeit jedoch hat sich diese Einstellung komplett verändert und ich habe die asiatischen Gerichte der Pizza vorgezogen und konnte mich total auf die koreanische Küche einlassen. Ich habe mich vor der Anreise, abgesehen von typischen Do’s and Dont’s, wenig über die koreanische Kultur informiert, da ich mir mein eigenes Bild machen und wenig Vorurteile mitbringen wollte. Schnell wurde mir bewusst, dass Englisch in Korea nicht so geläufig war, wie ich mir das erhofft hatte. Viele Einheimische sprechen gar kein bis kaum Englisch und so wurden Restaurant-Besuche, Einkäufe oder Freizeitaktivitäten oft zu einer großen Herausforderung. Ich nutzte viele Übersetzungs-Apps, dennoch konnten auch diese mir nicht immer weiterhelfen. Ein Gericht mit Fisch, obwohl man Fleisch bestellt hatte oder ein Taxifahrer, der einen nicht an das richtige Ziel brachte, gehörten von nun an zum Alltag dazu. Am Anfang hatte ich mich darüber noch geärgert, jedoch mit der Zeit auch gelernt zu akzeptieren, dass nicht immer alles reibungslos funktionieren kann. Nach einiger Zeit begann ich dann koreanische Vokabeln resultierend aus diesen Problemsituation zu lernen, so wusste ich nach und nach beispielsweise was „Fleisch“ bedeutet und wusste mir bei der Bestellung im Restaurant besser zu helfen. Allerdings ist koreanisch eine sehr schwierige Sprache, die man innerhalb vier Monaten leider nicht ansatzweise lernen oder verstehen kann, dennoch haben die einzelnen Worte im Alltag schon sehr geholfen. Außerdem ist mir aufgefallen, dass die Koreaner zum einen sehr diskret sind und auf ihre Mitmenschen achten und zum Beispiel immer stillschweigend in Bussen und Bahnen sitzen, da es als unhöflich angesehen wird wenn man laut spricht, andererseits können Sie aber am Abend auch sehr laut und gesprächig werden. Was mir über Korea besonders gut in Erinnerung bleiben wird ist die sehr gute Infrastruktur, da sowohl Verkehrsnetz als auch Mobilfunknetz sehr gut ausgebaut sind. Des Weiteren empfand ich die Koreaner alle als sehr zielstrebig. Die einheimischen Studenten saßen stundenlang in Study-Cafés oder in der Bibliothek und machten den Anschein, als würde Ihnen das gar nichts ausmachen. Außerdem wurde mir oft bewusst, dass in Korea die Gesellschaft über dem Individuum steht. Beispielsweise würde ein Koreaner nie eine Gruppe am Abend verlassen, nur weil er müde ist. Stattdessen würde er bleiben und warten bis alle nach Hause gehen. Diese Werte sind mir aufgefallen, als ich mit einer Gruppe von  internationalen Austauschstudenten sowie einem Koreaner eine Inlandsreise unternommen habe. Auch die Vielzahl an Coffee-Shops sowie Convenience-Stores, die rund um die Uhr geöffnet haben, bleiben mir positiv in Erinnerung. Neben all den positiven Erfahrungen, habe ich natürlich auch negative Erfahrungen während meiner Zeit in Südkorea gemacht. Mein größter Kulturschock-Moment war dabei ein Unfall zwischen zwei Rollerfahrern (Lieferdienste) auf einer viel befahrenen Kreuzung. Nachdem die beiden Fahrer zusammen gestoßen waren, lag einer der beiden verletzt am Boden und Scherben sowie die Essenslieferung lagen ebenfalls auf der Kreuzung verteilt. Statt dem Mann sofort zu helfen, begann der andere Unfallteilnehmer zunächst zu telefonieren (vermutlich mit dem Arbeitgeber). Außerdem lief der Verkehr ganz normal weiter und Autos und Busse fuhren an dem Mann, der mit Schmerzen auf dem Boden lag, vorbei. Für mich war dieses Szenario unfassbar, da man in Deutschland ganz anders reagiert hätte und die Straße wahrscheinlich gesperrt worden wäre. Nach einiger Zeit stand der Verletzte auf und schob seinen Roller ganz alleine an den Straßenrand. Erst nach mehr als 30 Minuten erreichte ein Krankenwagen den Unfallort. Da in solch einer Situation in Deutschland ganz anders gehandelt wird, würde ich diesen Moment für mich persönlich als Kulturschock beschreiben. Vor allem schockiert hat mich, dass es wohl normal war, dass niemand groß zur Hilfe kommt und der Verkehr einfach weiter lief, als wäre nichts geschehen.

Einer meiner schönsten Erfahrungen war ein 2-tägiger Aufenthalt in einem buddhistischen Tempel. Dabei konnte ich tiefe Einblicke in den Buddhismus erhalten und lernte die Werte kennen, welche die Menschen die in diesem Tempel leben, verfolgen. Mein Tag startete hier bereits vor 05:00 morgens, da die ersten Gebete vor Sonnenaufgang stattfanden und das Frühstück (Reis und Gemüse) direkt im Anschluss. Über den Tag verteilt fanden verschiedene Aktivitäten wie Meditation, Teezeremonien mit Mönchen, Stretching, sowie das Sunmundo-Training statt. Sunmundo kombiniert eine Art Meditation mit koreanischen Kampfkünsten. Auch zu Mittag und Abendessen gab es immer Reis und Gemüse. Geschlafen wurde auf einem ganz dünnen Futonbett, besser gesagt auf dem Boden und während des gesamten Aufenthaltes habe ich traditionell buddhistische Kleidung getragen. Der Aufenthalt im Tempel hat mich persönlich zur Ruhe gebracht, da ich auch mein Smartphone über diese Zeit ausgeschalten habe. Ebenfalls lernte ich hierbei, dass ich mich auch mit wenig Luxus wohlfühlen kann. Die Gespräche mit den Mönchen waren dabei auch sehr prägend, da ich einige Einstellungen und Weltansichten in dieser Religion, wobei ich es viel eher als einen Lebensstil beschreiben würde, beeindruckend finde. Diese Erfahrung war für mich einmalig und hat mir sehr gut gefallen. Ebenfalls erinnere ich mich gerne an einige Wanderungen zurück, die ich gemeinsam mit anderen Austauschstudenten unternommen habe. Wir erklimmten den Hallasan, der höchste Berg Koreas, auf der Vulkaninsel Jeju-do, welche zu den sieben Weltnaturwundern zählt. Auch die alte Stadtmauer Seouls, die über 20km lang ist und sich über 4 Berge streckt, lief ich an einem Tag entlang. Vor allem die Aussicht und die Erleichterung, wenn wir endlich an seinem Ziel angekommen waren, machten diese Tage besonders. Ich war allgemein sehr begeistert von Südkoreas Landschaft. Es gibt sehr schöne Nationalparks und Wanderwege im ganzen Land verteilt und auch inmitten von Seoul gibt es mehrere Berge und Nationalparks, die definitiv einen Besuch wert sind.

Auch wenn ich natürlich schon vor meinem Auslandsaufenthalt erwachsen war, hat mich dieser weitaus selbständiger werden lassen. Fernab von der eigenen Familie, den gewohnten Freunden und der Muttersprache, musste ich meinen Alltag in einem völlig fremden Land  selbst organisieren. Ich habe neue Freundschaften geschlossen und bin so auch viel offener auf Menschen zugegangen, als ich es für gewöhnlich bin. Schon von der Quarantäne an, musste ich mich viel mit mir selbst beschäftigen und mir Fragen über mich selbst stellen. Wer bin ich eigentlich? Was sind meine Interessen, was nicht? Was fehlt mir von zu Hause und was vielleicht auch gar nicht? Gibt es Dinge, die ich ändern möchte sobald ich wieder zurück in Deutschland bin? Wie gestalte ich meine Zukunft? Und davon sind über die 4 Monate noch weitaus mehr Fragen aufgekommen. Mir hat diese Zeit sehr dabei geholfen, mich und mein Leben zu Hause zu reflektieren und mir Gedanken darüber zu machen, welche Ziele ich als nächstes habe. Auch mein Sprachniveau in Englisch hat sich verbessert und so fühle ich mich heute im Berufsalltag sicherer Englisch zu sprechen. Ich bin mir auch sicher, dass mir der Aufenthalt den Umgang mit neuen Kollegen erleichtern wird. Ich habe gelernt, dass nicht alle Menschen die gleichen Werte verfolgen wie ich und irgendwann gelernt das zu akzeptieren und vor allem damit umzugehen. Ich glaube, so kann ich offener neuen Menschen, vor allem aus anderen Kulturen, gegenüber treten. Auch die Kurse, die ich an meiner Gasthochschule belegt habe waren vor allem in den technischen sowie naturwissenschaftlichen Fächern sehr anspruchsvoll. Das ist typisch für Südkorea, jedoch wurden mir in der Schulzeit ganz andere Grundlagen gelehrt, so dass es zu einigen Schwierigkeiten in den Kursen für mich kam. Dennoch habe ich versucht alles selbst aufzuarbeiten und habe mich vor allem in Mathematik und auch einigen technischen Fächern stark verbessert.

Zu meiner persönlichen Entwicklung hat das Auslandssemester auch viel beigetragen. Da ich viel mit Gruppen unterwegs oder auf Reisen war, musste man oft gemeinsam Entscheidungen treffen und so hat sich meine Kompromissbereitschaft in dieser Zeit verbessert. Da nicht immer jeder das gleiche machen wollte musste ich auch lernen flexibler zu werden. Zu Beginn war ich oft skeptisch was die Auswahl eines Restaurants betraf und habe mich dann auch oft nicht der Gruppe angeschlossen, wenn ich etwas anderes essen wollte. Nach einiger Zeit bin ich dieser Hinsicht offener und flexibler geworden und habe auch neue Sachen ausprobiert, die auf den ersten Blick nicht meinen Vorstellungen entsprachen, und oft wurde ich sehr positiv überrascht.

Meinen Auslandsaufenthalt in Südkorea werde ich nie vergessen, weil ich für über vier Monate in ein komplett anderes Leben eintauchen durfte. Ich wurde Teil einer völlig anderen Kultur und nach einiger Zeit hat sich Südkorea schon wie ein Stück Heimat für mich angefühlt. Ich habe sehr tolle Freundschaften in dieser Zeit geschlossen. Sowohl andere Deutsche, als auch Freunde aus der ganzen Welt wie Belgien, Frankreich, USA, Spanien sowie natürlich auch einige Koreaner. Der Austausch unter uns war sehr spannend und führte immer wieder zu einigen interessanten Diskussionen. Außerdem habe ich das Land durch diesen Aufenthalt ganz anders erleben dürfen, als es in einer kurzen Reise möglich gewesen wäre. Neben den ganzen Sehenswürdigkeiten konnte ich erfahren, wie das Leben in Südkorea ist. Ich habe mich in der Zeit meines Auslandsaufenthaltes weiter entwickelt und bin sehr oft über mich hinausgewachsen. So bin ich zum Beispiel hinauf auf den Lotte World Tower, das viert höchste Gebäude der Welt, trotz sehr starker Höhenangst. Auch auf all die Gipfel nach oben zu wandern hätte ich mir vorher nie vorstellen können. Ich bin sehr froh, dass ich meine Ängste überwinden konnte und bin mir sicher, dass ich es auch weiterhin in vielen Situationen kann und mich dabei immer an Südkorea zurück erinnern werde. Auch meine Ansprüche an mich selbst und gegenüber anderen sind nicht mehr so hoch wie vorher, da ich erlebt habe, dass man auch mit ganz wenig zurecht kommt und vielleicht auch mal weniger mehr ist.

Durch das Stipendium der BWS wurden mir einige Möglichkeiten in Südkorea geboten. Aufgrund von Corona fand das gesamte Semester online über Zoom-Vorlesungen oder Videos, die ich mir selbständig anschauen sollte, statt.  Zum einen war das wirklich schade, da ich gerne mehr Zeit am Campus der Gasthochschule verbracht hätte und somit auch der Kontakt zu Einheimischen vermutlich einfacher gewesen wäre. Andererseits war ich so während der gesamten Zeit an keinen festen Ort gebunden, da ich die Vorlesungen von überall aus verfolgen konnte. Voraussetzung: stabile Internetverbindung, aber da hatte ich mit Südkorea die richtige Wahl getroffen. So war es mir möglich, innerhalb der vier Monate nahezu das ganze Land zu erkunden. Am Morgen konnte ich wandern und einen Tempel ansehen und am Nachmittag  besuchte ich in einem Café für zwei Stunden eine Vorlesung über Zoom. Außerdem war Südkorea zu dieser Zeit nicht stark besucht, da Touristen noch nicht einreisen durften. Auch das war ein Fluch und Segen zu gleich. Einige Ausflüge wurden nicht angeboten oder bestimmte Sehenswürdigkeiten  waren geschlossen aber andererseits war es oft sehr ruhig und wir hatten den ein oder anderen Strand ganz für uns alleine oder mussten an den beliebtesten Restaurants und Cafés nicht lange anstehen. Während der Zeit habe ich die Hafenstadt Busan, die alte Hauptstadt Gyeongju, die Vulkaninsel Jeju-do sowie den Seoraksan Nationalpark im Osten des Landes besuchen dürfen.  Natürlich habe ich auch in Seoul sehr viel erlebt  doch selbst nach über vier Monaten noch lange nicht alles dieser riesigen Stadt gesehen. All diese Reisen, Ausflüge und die daraus gewonnenen Erfahrungen wurden mir durch das Stipendium ermöglicht.

Ich bin sehr froh all diese Erfahrungen trotz dieser schwierigen Zeit gemacht haben zu können. Auch wenn der Anfang in Südkorea sehr schwer für mich war konnte ich die Zeit danach umso mehr genießen und bin sehr dankbar, dass ich die Vielseitigkeit des Landes mit Hilfe des BWS Stipendiums erleben durfte. Ich würde die Entscheidung für einen Auslandsaufenthalt immer wieder genau so treffen und auch jedem dazu raten eine Zeit lang im Ausland zu leben, da man sich dadurch so viel weiterentwickeln kann und diese Zeit nie in Vergessenheit geraten wird.