Familiengerechte Hochschule: Alles, was zählt, ist die Familie

Manche Studierende an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mosbach trauten ihren Augen nicht recht: 68 Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren eilten am Dienstag zum großen Hörsaal, um Mathe zu „studieren“. Erwartet wurden sie von Annette Reinhart, die dort mit ihrem Team mehrere Erlebnis-Stationen unter dem Motto „Alles, was zählt und Spaß macht“ aufgebaut hatte. Während die Kinder tüfteln, knobeln, rechnen, bauen und auch einiges umstoßen konnten, hatten ihre Eltern aus der Region und an den drei Campus Heilbronn, Bad Mergentheim und Mosbach die Gewissheit, dass ihre Kinder gut betreut sind. Denn dieser Kinder-Mathe-Tag gehört zu dem vielseitigen Veranstaltungsreigen der „familiengerechten Hochschule“. Was sich hinter diesem Zertifikat, mit dem die DHBW Mosbach seit 2008 ausgezeichnet ist, verbirgt, erläutert Prorektorin Prof. Dr. Gabi Jeck-Schlottmann im Interview.

Warum wird die DHBW Mosbach immer wieder zum „KinderCampus“?

Prof. Dr. Jeck-Schlottmann: Mit dem Kinder-Mathe-Tag und den weiteren Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche (zum Beispiel der „Kinderuni auf Reisen“) möchten wir mehrere Ziele erreichen. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Studium steht dabei im Vordergrund. Daneben werden Kinder aus der Region altersgerecht gefordert und schon an die Hochschule herangeführt. Wir spornen zum Lernen in der Schule an und wecken die Lust aufs Studium. Schließlich tragen wir mit der Veranstaltung am KinderCampus „Alles was zählt und Spaß macht“ zur Förderung im MINT-Bereich bei. Gerade in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) fehlt es an Nachwuchs. Junge Menschen sind noch neugierig und aufgeschlossen. Wir möchten deshalb früh und spielerisch das Interesse an diesen Fächern wecken.

Was genau verbirgt sich hinter dem Zertifikat „familiengerechte Hochschule“?

Prof. Dr. Jeck-Schlottmann: Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kann nicht auf die Kompetenzen von Frauen oder Männern verzichtet werden. Insofern ist die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit oder Studium in hohem Maße wichtig. Das ist jedoch eine große Herausforderung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie auch für ihre Arbeitgeber. Die DHBW Mosbach setzt sich seit 2008 zum Ziel, durch verschiedene Maßnahmen sukzessive die Rahmenbedingungen für Beruf bzw. Studium und Familie zu verbessern. Hierfür lässt sie sich im Abstand von drei Jahren von unabhängiger Seite prüfen und zertifizieren. Damit einher geht zudem auch eine kontinuierliche Verbesserung der Organisation, die allen zu Gute kommt.

Flexible Arbeitszeiten und Prüfungsfristen, lässt sich das in der Realität tatsächlich umsetzen?

Prof. Dr. Jeck-Schlottmann: Die DHBW Mosbach hat bereits seit vielen Jahren sehr flexible Arbeitszeiten und eine Vielzahl von Arbeitszeitmodellen, die eine Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit erleichtern. Darüber hinaus sind noch weitere Flexibilisierungen wünschenswert, wie zum Beispiel eine lebensphasenorientierte Arbeitszeit. Diesen Wünschen sind jedoch durch externe Rahmenbedingungen Grenzen gesetzt.
Für Studierende stellt die Prüfungsordnung einen einzuhaltenden Rahmen dar. Innerhalb dieses Rahmens gibt es Spielräume, die genutzt werden können. Hier kommen wir Studierenden mit Familienarbeit, soweit es möglich ist, individuell abgestimmt entgegen.

Sicher wird das Angebot gerne von den Mitarbeitern angenommen. Aber wie reagieren die Studierenden, die sich in ihren Ausbildungsbetrieben bewähren müssen?

Prof. Dr. Jeck-Schlottmann: Das duale Studium an der DHBW ist ein Intensivstudium mit hoher zeitlicher Beanspruchung für die Studierenden und ein Studium, das nur eingeschränkte Freiräume lässt. Studierende mit Familienarbeit sind besonders betroffen. Ihnen bleibt nur wenig Zeit für Lernen oder Familie. Aufgrund der Dualität mit zwei Lernorten an der DHBW und in einem entfernt liegenden Unternehmen sowie gegebenenfalls noch mehr Lebensorten, haben diese Studierenden ihre Familienarbeit oft anders organisiert. Eine Kinderbetreuung an der DHBW Mosbach ist nicht erforderlich, weil eine Betreuung am Wohnort praktikabler ist. Darüber hinaus gibt es aber erleichternde Angebote, die in Anspruch genommen werden, wie E-Learning, Bibliotheksarbeit von zu Hause aus, Flexibilisierungslösungen im Rahmen der Studien- und Prüfungsordnung oder Angebote zu Stress- oder Zeitmanagementseminaren.

Gibt es Kooperationen mit den mehr als 1000 Partnerunternehmen der DHBW Mosbach hinsichtlich einer familiengerechten Ausbildung?

Prof. Dr. Jeck-Schlottmann: Viele unserer dualen Partner sind ebenfalls als familiengerecht zertifiziert. Studierende, die auch Familienarbeit leisten, können dort die Angebote wahrnehmen.

Sie sind selbst Mutter von zwei Kindern, im Beruf sehr erfolgreich und leben „auf dem Land“. Wenn Sie zurückblicken, was war besonders schwierig für Sie?

Prof. Dr. Jeck-Schlottmann: Rückblickend war es besonders schwierig, die hohen Erwartungen an mich selbst zu erfüllen: 100 Prozent (oder mehr) im Beruf zu geben, gleichzeitig „gute“ Mutter, Partnerin, sozial engagiert in der Gemeinde etc. zu sein und das alles bei damals sehr eingeschränkten Kinderbetreuungsmöglichkeiten, einem Mutterbild, das in dieser Zeit mehr dem Idealbild der  „Vollzeitmutter“ entsprach und einem fehlenden familiären Netzwerk vor Ort. Die unterschiedlichen Erwartungen konnten durchaus erfüllt werden, denn es war alles gut organisiert. Bei Unvorhergesehenem wie zum Beispiel Krankheit gerät ein solches System jedoch schnell aus dem Gleichgewicht. Für das Gelingen des Spagats war es besonders wichtig, dass mein Ehemann die Lebensvorstellungen teilte, unterstützte und sich intensiv in die Familienarbeit einbrachte, so dass diese auf mehreren Schultern lastete.

Was hätten Sie sich „damals“ gewünscht?

Prof. Dr. Jeck-Schlottmann: Bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten und ein familiäres Netzwerk vor Ort. Wer kann arbeiten gehen, wenn das Kind erst mit fast vier Jahren einen Kindergartenplatz bekommt und der Kindergarten von 8.30 bis 12 Uhr und dann wieder von 14 bis 17 Uhr geöffnet ist? Zusätzliche Probleme bereiteten die langen Ferienzeiten. Kein Arbeitnehmer hat so viel Urlaub, wie es Ferienzeiten pro Jahr gibt. Manchmal, vor allem in unvorhergesehenen Situationen, hätte ich mir schon mal Oma, Opa oder Tante für ein flexibles Einspringen in der Notfallbetreuung gewünscht. Heute sind die Betreuungsmöglichkeiten wesentlich besser ausgebaut, auch die der Notfallbetreuung mit Services wie Leihomas. Das erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dennoch bleibt eine hohe  Belastung, so dass weiter an der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit gearbeitet werden muss.

Vielen Dank für dieses Gespräch.